metamediale spiele
- Stoff und Form
- Inszenierung
Stoff und Form
Eine schwingende Saite hat eine
unbegrenzte Zahl von Freiheitsgraden,
so dass sie eine unendliche Anzahl
von Tönen von sich geben kann.
Deren Schwingungszahlen
sind das Vielfache
der Grundschwingungszahl.
Henri Pointcaré
Etwas anders als Pointcaré, der den Raum als schlaffe Form charakterisiert, die sich an allem anschmiegen kann, stellt Aristoteles in seiner Metaphysik fest, dass der Stoff (Raum) nur der Möglichkeit nach existiert, da er noch keine Form besitzt. Der Stoff ist ein Noch-Nicht-Seiendes, die Quelle der Unvollkommenheit, das Leidende schlechthin. Erst die Form gibt dem Stoff seine Erfüllung. Sie ist die bewegende Ursache. Die Form schafft den Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit.
In der Kunst votiert der Stoff (das Thema oder Motiv) für seine Entfaltung in ein Werk. Nur leidet nicht der Stoff, denn er gibt ja die Richtung vor, sondern der Produktionsprozess durchlebt dauernde Zerrissenheit. Das Thema kann sich also genüsslich zurücklehnen und auf seine Erfüllung warten. Der oder die Macher eines Kunstwerks sind in die aktive Rolle gezwungen.
Der umgekehrte Weg, ein passives Aussitzen, führt zu Samuel Becketts „Warten auf Godot“. Seine Figuren ergötzen sich schwätzend im Nicht Tun und überantworten sich ihrem vermeintlichen Heilsbringer Godot. In ihrer Rigorosität sind sie gelaunt, im Möglichen zu verweilen, ohne Wirklichkeit anzunehmen. Diesem Faulheitsprinzip konnte Lucian in seinem Dialog: „Der Parasit, oder Beweis, dass Schmarotzen eine Kunst sei“ Bedeutendes abgewinnen; denn ebenso wie all die anderen Künste hat auch die Parasitik einen Zweck. Zu dieser tüchtigen Wissenschaft gehört nämlich die konsequente Unterscheidung von nützlichen und unbrauchbaren Tischherren. (Dieses in die Neuzeit gerettete lächerliche Schönheitsprinzip können wir getrost ausblenden.)
Um uns ein Bild vom Gegenstand (Stoff) zu machen, den wir für die Kunstproduktion nutzen wollen, muss er in seiner Komplexität begriffen werden. Er ist weder schlaffe Form noch ein Nicht-Seiendes. Er hat wie das Hirn eine eigene Geschichte. Wir schaffen ein Abbild, indem wir seiner Komplexität den Spiegel vorhalten. Dies hat Auswirkung auf die nichtlineare Erzählstruktur des Werkes, das wir zu bilden beabsichtigen.
Inszenierung
Der Raum, den wir betreten, hat seine eigene Poesie. Er ist zunächst Voraussetzung für eine Produktion. Arbeiten wir an ihm vorbei, hat das Stück (die Aufführung) verloren. Wir sind angehalten, seine Geheimnisse und Signaturen zu lesen. Wir müssen ihn „atmen“. Stoff und Form, besser: Raum und Drama, bedingen einander. Sie führen einen offenen Dialog, so dass ein gegenseitiges „Anschmiegen“ möglich wird. Hierbei entsteht ein erstes Muster, das für die Inszenierung von Bedeutung ist; denn aus diesem ersten Gefüge heraus lassen sich die metamedialen spiele ableiten. Analog zu Aristoteles, der die Metaphysik als die erste Philosophie, als eine Lehre von den ersten Prinzipien und den letzten Ursachen alles Seienden begreift, beschreiben wir mit metamediale spiele die Ausgangssituation. Sie selbst ist schon Inszenierung.
Wie eine Aufführung funktioniert, hängt vom Einsatz der Mittel ab (Licht, Ton, Video etc.). Im Raum positioniert, nehmen sie zueinander Beziehungen auf und erzeugen somit eigene Muster (Autopoiese). Obwohl miteinander verschränkt, bewahrt jedes Mittel Autonomie. Es ist nicht an lineare Prozesse gebunden, sondern folgt eigenen Befindlichkeiten, wodurch andere, neue Muster entstehen. Das Stück inszeniert sich selbst.
Das Thema, das wir behandeln, liegt entweder als Text, kompositorischer Fetzen oder als Filmsequenz vor – ein Torso, das von den einzelnen Mitgliedern der Produktion frei übersetzt werden kann. So treffen verschiedene Interpretationsweisen aufeinander, die ihren Ausdruck im Tanz, Schauspiel, Film, Malerei etc. finden. Ein erstes Aufeinandertreffen klingt scheinbar nach Kakophonie; wir erleben jedoch, dass sich während des Zusammenspiels der Beteiligten Empfindungsnetzwerke „spinnen“. Diese halten das Spiel zusammen. Sie sind keine festen, statischen Strukturen, sondern offene Systeme, die wiederum Improvisationsflächen kreieren. Das Stück zeigt sich als ein lebendiger, pulsierender Organismus.
Regie, in traditioneller Lesart fraglich, versteht sich als Koordinierung der Empfindungsnetzwerke. Der Koordinator arbeitet mit selbstständig agierenden Subjekten. Sie wissen, was sie tun. Seine Aufgabe beschränkt sich auf den Aufbau dynamischer Systeme. Er sorgt zugleich dafür, dass vereinbarte Prioritäten erhalten bleiben. Immerhin soll eine Geschichte erzählt werden. Entsprechend dieser Richtlinien formuliert sich der dramaturgische Leitfaden.
Jede Produktion besitzt ihre eigene Identität. Sie spricht ihren „Dialekt“, der in Bildern und Metaphern aufscheint. Ändern sich jedoch die Ausgangswerte, so ändert sich auch das Beziehungsgefüge. Es entstehen neue Muster. In diesem Kontext erschließen sich die variablen Begriffe Schön, Hässlich, Erhaben usw. Sie sind Reflexionen auf sich selbst und bedeuten: „In-der-Sprache-sein“